Stand der Technik

Produktivitätsmessung

Es sind kaum Arbeiten und Messverfahren vorhanden, die die Produktivität im Entwicklungsbereich erfassen, auf die das Projekt aufsetzen kann. Bisher hat sich nur die Firma Numetrics [NUM05] kommerziell mit dem Thema Produktivität für IC- und ASIC-Design beschäftigt.

Numetrics bietet mit dem Life Cycle Management SystemTM (LCM) ein Tool, in dem nach Abschluss des Designs manuell (per Fragebogen) erfasste Daten eingegeben werden, die den Designablauf beschreiben. Diese Daten werden an Numetrics übertragen und dort verarbeitet. Eine Rückmeldung erfolgt in Form von Grafiken und Statistiken und zeigt im Wesentlichen das eigene Ergebnis bezogen auf den Marktdurchschnitt. Damit erhält man nachträglich Hinweise auf mögliche Schwachpunkte im eigenen Designablauf.

Somit dienen die erzielten Resultate primär zu Abweichungsanalysen in der Designarbeit in Be­zug auf weltweite Vergleichsgrößen und nicht zu Investitionsentscheidungen hinsichtlich der Technologiekomponenten. Eine weitere Notwendigkeit für PRODUKTIV+ ergibt sich aus den Nachteilen des LCM: Erstens sind die verwendeten Algorithmen nicht offen gelegt und damit überprüfbar und zweitens findet eine kontinuierliche Veränderung bzw. Weiterentwicklung der Algorithmen statt, was dazu führt, dass die Ergebnisse aus verschiedenen Zeiträumen nicht vergleichbar sind und damit eine Tendenz der Produktivitätsentwicklung nicht aufgezeigt werden kann. Auch zeigt Numetrics keinen konsistenten Ansatz zur Berücksichtigung analoger Schaltungskomponenten auf. Die Anzahl analoger Transistoren wird linear in digitale Transistoren „umgerechnet“. Um mit diesem Ansatz überhaupt brauchbare Ergebnisse zu erzeugen, musste der Umrechnungsfaktor mehrfach und über nahezu zwei Größenordnungen korrigiert werden.

Auch einige der am Projekt beteiligten Partner verwenden den Numetrics Ansatz. Die damit ermittelten Werte liefern aber nur eine nachträgliche Betrachtung des Design-Prozesses. Für eine sinnvolle Planung von Investitionen und Entwicklungsressourcen sind die Daten nicht ausreichend.

Ein ähnliches Bild ergibt sich für viele Ingenieurdisziplinen. Im BMBF-Projekt PROGRESS [WIL] wurde der aktuelle Forschungsstand zur Effizienzmessung im Elektronik­entwurf untersucht. Produktivitätsmessung erstreckt sich im Wesentlichen auf die klassischen Messgrößen des Projektmanagements (Zeit und Kosten) bezüglich der verwandten Ressourcen. Die Entwicklungsergebnisse werden von kaum einem Ansatz bewertet. Messgrößen sind z. B. Anzahl von Entwicklungszyklen, Qualität von Prototypen, Reviewerfüllungsgrad. In der Literatur wird insbesondere der Einfluss von organisatorischen Maßnahmen wie Simultaneous Engineering untersucht. Verfahren für die Bewertung der Produktivitäts­steigerung durch Investition in Designwerkzeuge usw. sind nur für spezielle Anwendungsbereiche beschrieben.

Im akademischen Bereich bestehen vereinzelte Ansätze zu den in PRODUKTIV+ beinhalteten Forschungsthemen. Aufbauend auf einer Reihe von Arbeiten zu CAD-Frameworks (s. [BRO92], [COB92], [JAC93], [SUT97]) beschäftigt sich Johnson (s. [JOH96]) mit der Messung und Analyse von Prozessdaten. Dabei geht es insbesondere um die Berücksichtigung zeitlicher Aspekte (Projekt-Schedule) und ihre Integration mit der Handhabung des logischen Entwurfsablaufs. CAD-Frameworks können zur Sammlung von Daten herangezogen werden und um eine zeitliche Komponente erweitert werden. Zur Analyse und Prädiktion von Projektabläufen werden Markov-Modelle benutzt. Johnson berichtet, dass Aussagen über einen Design Prozess stark vom analysierten Design abhängen. Außerdem ist festzuhalten, dass auch andere Faktoren wie die verwendeten Werkzeuge und Bibliotheken einen Einfluss haben. All dies wird in Johnsons Arbeit jedoch nicht berücksichtigt.

Am Gigascale Silicon Research Center (GSRC, http://www.gigascale.org/), wurde ein Forschungsprojekt namens „Metrics“ durchgeführt, welches darauf abzielte, Entwurfswerkzeuge zur Bestimmung ihrer Leistungsfähigkeit zu instrumentieren. Die erzielten Resultate (s. [FGK00] [KAM01]) konzentrieren sich auf Metriken für Layoutwerkzeuge und sind nicht geeignet, die Elemente und Abläufe eines De­sign­sys­tems in der Vollständigkeit zu erfassen, wie dies zur Erreichung der Ziele von PRODUKTIV+ erforderlich ist.

Alle bestehenden wissenschaftlichen Arbeiten bieten keinen Ansatz, Prozessdaten mit betriebs­wirtschaftlichen Kennzahlen in Verbindung zu bringen.

Betriebswirtschaftliche Kennzahlenintegration

Die Betrachtung der Produktivität von Entwicklungsprozessen geschieht nicht isoliert, sondern im betriebswirtschaftlichen Kontext des Unternehmens. Aus Managementsicht werden mit der Produktivitätsmessung im Wesentlichen drei Ziele verfolgt:

Controlling: Projektplanung und Projektkontrolle mit Abrechnung von Entwicklungsleistungen und Zuordnung von Projektaktivitäten zu Kostenstellen und Kostenträgern.

Benchmarking: Vergleich von in der Regel nicht monetären Kennzahlen mit Referenzgrößen, die entweder als Ziele vorgegeben werden oder einen Vergleich mit anderen Projekten, Unternehmensbereichen und Mitbewerbern ermöglichen.

Entscheidungsunterstützung: Bereitstellung von Informationen für Entscheidungen. Hierzu zählen projektspezifische Entscheidungen, wie die Auswahl von Lösungsalternativen, Design­gestaltung und Werkzeugauswahl, aber auch Entscheidungen wie Abbruch einer Entwicklung und projektunabhängige Entscheidungen wie Investitionsentscheidungen, Auswahl von Methodiken, Definition von Referenzprozessen.

Aus betrieblicher Sicht ist es sinnvoll, die Produktivität von Entwicklungsprozessen sowohl hinsichtlich ihrer Effizienz (Relation Output zu Input) wie auch hinsichtlich ihrer Effektivität zu betrachten (Relation Effekt auf das Unternehmen zu Input). Kann die erste Betrachtung isoliert für ein Projekt erfolgen, ist für die letztere der Einfluss auf das Unternehmen bzw. die Organisationseinheit (Marktposition, Kosten, termingerechter Markteintritt, Technologie­führer­schaft) zu bewerten.

Die Bewertung aus Managementsicht erfolgt durch qualitative oder quantitative Kennzahlen, die sich aus der angewandten Managementmethode ergeben (z.B. „Key Performance Indikatoren“ für Balanced Score Cards, Scandic Navigator, Strategy Maps [KN04]). Sie dienen als Basis für operative (z.B. ABC, Kosten-Nutzen, Break-Even, Gemeinkosten) und strategische (z.B. Stärken-Schwächen, Lebenszyklus, Portfolio, Gap, Szenario) Analysetechniken.

Die direkt aus der Betrachtung des Entwurfsvorhabens ableitbaren Kennzahlen für Input, Output und Prozessparameter sind auf die betriebswirtschaftlichen Kennzahlensysteme abzubilden. Voraussetzung dafür ist ein formales Modell für die Messgrößen und Kennzahlensysteme wie es in diesem Vorhaben entwickelt wird. Dabei werden keine neuen ökonomischen Kennzahlensysteme entwickelt. Stattdessen steht die Integration mit dem im Untenehmen vorgegebenen Kennzahlensystem im Vordergrund.

Für diese Modelle wird eine Abbildung durch Modellierung der Einflussbeziehungen geschaffen. Hierzu werden Verfahren wie Causal Models [Pea00], Einflussmatrizen [Ves00] , oder deskriptive Logik [Imm99] untersucht, bewertet und eine geeignete Methode ausgewählt.

Multiagentensysteme

Bei Multiagentensystemen (MAS) handelt es sich um informatische Systeme aus mehreren gleichartigen oder unterschiedlich spezialisierten handelnden Einheiten, die kollektiv ein Problem lösen. Man spricht auch von verteilter künstlicher Intelligenz oder DAI (distributed artificial intelligence).

Die Interaktion der Einheiten kann durch den Austausch von Nachrichten oder Einwirkung auf ihre Umgebung stattfinden. Dabei können die Einheiten autonom handeln, wie z.B. Softwareagenten oder Roboter. Diese Einheiten können auch Menschen sein, die durch Assistenzagenten mit dem System interagieren. Trotz einfacher Handlungsstrategien vermögen MAS Selbstorganisation und komplexes Verhalten zu demonstrieren, wodurch sich komplexe Problemstellungen lösen lassen.